Bettina Stangneth

Bettina Stangneth


»Es gibt auch böses Denken.«

Das große Interview








Terror, Mord und Folter – Wer die Nach­richten ein­schaltet, weiß, unsere Gattung ist zu jeder Unge­heuer­lich­keit fähig. Der Mensch, der im Wesen gut, fair, zuge­wandt und zu­­gunsten des Zusammen­­lebens ein­sichtig ist, er­scheint da als ein hoff­nungs­los naiver Wunsch­­traum, oder? Wir haben die Philo­­sophin Bettina Stangneth getroffen, um mit ihr über das ra­di­kal Böse zu sprechen.


Das Interview führte Tim Turiak mit freundlicher Unterstützung der Tonhalle Düsseldorf.



Das böse Denken, was können wir uns darunter vorstellen?

Wir sind lange davon ausgegangen, dass der einzige Weg zur Moral und zu einem Menschen, der sich anständig verhält, der ist, dass wir ihn zum Denken bringen. Und dass in dem Moment, in dem wir das geschafft haben, eigentlich alles getan ist. Das ist ja auch nicht falsch. Wir kommen natürlich nur zur Moral, wenn wir denken, aber das heißt ja nicht, dass Moral auch die notwendige Folge des Denkens ist. Das 18. Jahrhundert konnte noch hoffen, dass es vielleicht reicht, Menschen zu mündigen Bürgern zu erziehen, also sie zu alphabetisieren und ihnen Bildungsmöglichkeiten zu bieten: Der Rest, also Moral und Recht, so die Hoffnung, entwickelt sich dann von ganz allein. Wir sprechen hier auch nicht von irgendwelchen spinnerten Träumen. Es war ein Sozialprogramm. Tatsächlich war die Aufklärung doch ein großes Experiment, dem wir alles verdanken. Aber heute wissen wir auch: Es gibt nicht nur gutes Denken, es gibt auch böses Denken. Denken ist ein Werkzeug wie jedes andere auch. Man kann es zu allerlei möglichen Zwecken verwenden. Selbstverständlich auch zum Bösen, und darum muss man über das böse Denken nachdenken.

Sie sprechen von der Aufklärung. Immanuel Kant beschrieb den Menschen als radikal böse. Was meint er damit?

Kant hatte sich mit einer der Lieblingsfragen seiner Zeit beschäftigt: Ist die Gattung Mensch gut oder böse? Also hat der Mensch eine Anlage, die ihn zu dem einen oder zu dem anderen prädestiniert. Dass wir überhaupt eine Anlage zum Guten haben, ist nicht zu leugnen: Wir haben Vernunft. Wir stellen die Frage nach Moral, was zum Beispiel eine Maus nicht tut. Aber damit reden wir über eine Möglichkeit, nicht über eine Notwendigkeit. Ich habe auch eine Anlage zum Laufen. Ob ich laufe, ist eine ganz andere Geschichte. Kann man, so fragte sich Kant, von einer moralischen Natur des Menschen sprechen? Seine Antwort war: Der Mensch ist radikal böse. Das Wort ›radikal‹ hat nichts mit unseren heutigen Vorstellungen von Radikalität, Brutalität und brachialer Gewalt zu tun. Kant hat sich dieses Wort ausgedacht, weil von der Wurzel des Menschen die Rede ist, also dem, was wir alle gemeinsam haben. Der Mensch ist radikal böse, weil er zwar genau weiß, was richtig oder falsch ist, ja, sogar davon überzeugt sein kann, aber trotzdem immer noch die Freiheit hat, sich in seinem Handeln dagegen zu entscheiden. Wir sind so frei, dass uns noch nicht einmal unsere eigenen Überzeugungen binden. Und das ist nicht etwa irgendein böser Trieb, sondern es ist mein Denken, das dann sagt: Nö, heute nicht. Heute reklamiere ich für mich die Ausnahme und nehme ich andere Gründe her. Weil wir das jederzeit können, sind wir offensichtlich nicht radikal gut. Radikal gut zu sein, würde bedeuten, dass mit der Überzeugung, was eigentlich getan werden müsste, auch nur noch das geschieht, einfach weil man es weiß.

»In Wirklichkeit ist die Vernunft etwas ganz Kleines.«

Können Sie einmal die Vernunft für uns beschreiben?

Nun, jedes Lebewesen hat Erkenntnisvermögen. Menschen haben aber, soweit wir wissen, die meisten von allen. Zu unseren Erkenntnisvermögen gehört eben auch die Vernunft. Es ist auch ganz leicht, sich seiner Vernunft bewusst zu werden. Wir wissen, welche Erkenntnisvermögen wir haben, weil wir die Resultate sehen. Ich nippe etwa an meinem Orangensaft und denke: Oh, ist der aber sauer. Ich weiß dann: Aha, ich bin offensichtlich empfänglich für genau diese Wahrnehmung. Und die Vernunft ist auch eine Empfänglichkeit, nämlich für Widerspruch und Stimmigkeit im Selbstverhältnis. In dem Moment, in dem ich sage: 1+2 = 7, merkt jeder: Es reibt sich was. Ich bin empfänglich dafür, dass da etwas nicht mit dem übereinstimmt, was ich gelernt habe. Und dieser winzig kleine Sinn, diese so unwesentlich scheinende Empfänglichkeit hat ungeahnte Folgen. Wir könnten ohne Vernunft weder über Pflicht noch über Gesetz noch über Form noch über Gesetzmäßigkeit nachdenken, und das gilt sowohl für die Naturwissenschaft als auch für Ethik. Menschen suchen aber ständig nach Formen und Gesetzen. Wir haben nicht nur ein Wahrnehmungsvermögen, Verstand und Urteilskraft, sondern auch Vernunft. Weil diese Empfänglichkeit das menschliche Erkenntnisvermögen so sehr verändert, waren Menschen immer geneigt, sich die Vernunft noch viel gewaltiger vorzustellen, als sie es ist.

Aber …

An dieser Stelle muss man extrem vorsichtig sein. Wenn ich die Vernunft so groß aufblase, kann dahinter auch der Wunsch stehen, sie zu entmachten, indem man behauptet: Das ist doch nur irgendein Fremdkörper im Menschen oder eine Hypernorm, an der jeder zerbrechen muss. In Wirklichkeit ist die Vernunft etwas ganz Kleines: nämlich die Stimme, die immer da ist, die sich sofort meldet, wenn meine Vorstellungen in Widerspruch geraten. Nehmen wir einmal an, ich habe mir für heute vorgenommen, dass ich pünktlich hier bin und komme dann zu spät. Ich denke dann unvermeidlich: O Mann! Es fühlt sich an, als wenn mich jemand ertappt, und die Erfahrung ist auch so nachhaltig, dass sie für ein Erröten reichen kann und sogar noch für die Vorstellung eines roten Eintrags in einem Sündenbuch. Tatsächlich wirkt hier meine Empfänglichkeit dafür, dass zwei Vorstellungen in meinem Kopf nicht zusammenpassen: Ich wollte Sie nicht warten lassen, habe es aber getan. Wenn wir über die Vernunft nachdenken und darüber, wie wir damit umgehen wollen, ist es unglaublich wichtig, sie nicht mit idealistischen oder romantischen Vorstellungen zu überfrachten. Sie ist ein Erkenntnisvermögen, auch ein ganz erstaunliches, aber kein allgewaltiges. Darum schreibt Kant ja auch eine Kritik der Vernunft und keinen einzigen Lobgesang. Es geht darum, die einzelnen Erkenntnisvermögen so anzuschauen, wie man Werkzeuge in einem Werkzeugkasten anschaut. Wir müssen genau wissen, wofür welches Werkzeug zu gebrauchen ist, und erst danach dürfen wir anfangen, uns zu überlegen, ob wir damit Hütten oder Paläste bauen.

»Es gibt durchaus Moral-Entwürfe gegen die Vernunft.«

Die Moral ist immer vernünftig?

Das Erstaunliche ist doch, dass wir nach Moral fragen. So oft wir auch fatalistisch sein wollen und lakonisch behaupten, dass die Dinge eben so sind wie sie sind, so unauslöschlich ist dieses andere Gefühl: Es sollte doch aber anders sein. Und genau das, also dass wir überhaupt nach Moral fragen und von ihr als einer Möglichkeit wissen, ist natürlich eine Folge unserer Anlage der Vernunft. Insofern ist jede vorgeschlagene Handlungsweise, egal welche es ist, eine Verwendung der Vernunft. Das gilt sogar dann, wenn jemand verkündet, dass es besser wäre, ganz auf Moral zu verzichten. Auch das ist selbstverständlich der Vorschlag einer bestimmten Handlungsweise. Insofern gründet jegliche moralische Diskussion auf unserem Vernunftvermögen. Eine andere Frage ist es, welche Bedeutung ich der Vernunft für die Orientierung geben will. Also soll sie handlungsleitend sein, oder nicht? Für den Menschen ist das eine bewusste Entscheidung: für mich, eventuell für eine Gruppe. Es gibt also keine Moral ohne Vernunft. Aber es gibt durchaus Moral-Entwürfe gegen die Vernunft.

Gibt es andere Orientierungspunkte, an denen ich mein Handeln ausrichten kann: die Mitmenschlichkeit, die Menschheit, den Weltfrieden?

Orientierungspunkte, wie Sie sie jetzt formulieren, wären ins Extreme getriebene Bilder oder ganz einfach Ideale. Den Weltfrieden haben Sie ja nie erlebt. Ich habe ihn auch nie erlebt. Wir stellen uns irgendwas vor, füttern es als eine Idee mit allerlei Vorstellungen an und konstruieren uns ein Ideal. Ideale taugen genau darum nicht zur Orientierung, weil sie nicht garantieren, dass sich Menschen auch wirklich an der Vernunftidee orientieren und nicht nur an den zufälligen Vorstellungen, die wir daran heften. Vor hundert Jahren hätte man sich die Rolle der Frau in der friedlichen Welt beispielsweise etwas anders vorgestellt, als wir es heute tun.

Was ist mit den viel beschworenen Werten?

Auch Werte helfen Ihnen nicht weiter. Und zwar schon aus dem einfachen Grund, weil es so viele davon gibt. Wenn Sie in einer bestimmten Situation sind und sich sagen, dass Ihr höchster Wert ›Treue‹ ist, dann müssen Sie sich auch fragen: Treue wozu? Treue zu Ihrer Arbeit? Treue zu Ihren Gedanken von gestern? Treue zu Ihren Träumen von morgen? Treue zu Ihrer Frau? Zu Ihrer Freundin? Zu Ihrer Geliebten? Zu Ihrem Geliebten? Zu Ihren Kindern? Sie potenzieren die Konflikte, die Sie doch eigentlich lösen wollen, schon dann, wenn Sie es nur mit einem versuchen. Aber da sind ja noch viele andere.

»Es gibt Situationen, in denen wir unbedingt handeln müssen und keine Zeit haben, erst mal in Ruhe abzuwägen.«

Wann sind wir überhaupt mit moralischen Fragen konfrontiert?

Die meisten Fragen, die wir uns am Tag stellen, haben mit Moral überhaupt nichts zu tun. Um mich zu fragen, ob ich erst alte Damen aus Bussen steigen lassen soll, oder mich an ihnen vorbei hineindrängen darf, reicht Klugheit vollkommen aus. Drängeln mag rücksichtslos und unmoralisch sein, aber zunächst einmal ist es blöd. Konfliktsituationen, in denen wir wirklich nicht wissen, was wir tun sollen, weil uns unsere Erfahrung nichts nützt, sind selten. Wer den Handlungsrahmen nicht kennt und natürlich auch über die Zukunft nichts weiß, fragt nach einem Orientierungspunkt wie ein Seemann nach Koordinaten für die sichere Navigation, auch wenn alles um mich herum schwankt und schwimmt. Die Orientierung an der Vernunft ist ein Krisenprogramm, eine Art Notfallprotokoll, von dem wir wissen, dass es einfach zuverlässig ist. Es ist nicht so, dass wir uns moralische Fragen stellen, weil unser Leben soweit ganz nett ist, wir uns Moral also als ein bisschen Luxus obendrauf leisten. Es gibt Situationen, in denen wir unbedingt handeln müssen und keine Zeit haben, erst mal in Ruhe abzuwägen oder Versuche anzustellen. Und wir wollen wissen, was man dann tun darf.

Was sind das für Situationen?

Das hängt schon von lebensweltlichen Zufällen ab. Sie können schon in eine ganz einfache Art von Konflikt geraten, wenn Sie auf dem Weg zu diesem Interview sind und kurz vor Termin Ihr Lieblingsmensch anruft, weil er ganz dringend seine Kopfschmerztabletten braucht. Schon haben Sie ein Bilderbuch-Dilemma. Und dieses Dilemma müssen Sie lösen.

Wie denn?

Zunächst einmal müssen Sie sich bewusst machen, warum sie in einem Konflikt sind. Es ist auch nicht so, dass ich Sie unter Druck setzen würde. Sondern Sie ganz allein haben das Bedürfnis, eine Antwort auf die Frage zu finden: Mist, was tue ich jetzt? Und in dem Moment ist Vernunft ein guter Ratgeber. Nichts anderes empfiehlt Kants kategorischer Imperativ: Fände ich es gut, wenn jeder jetzt an meiner Stelle genau so handeln würde, wie ich das jetzt tun will. Oder anders gefragt: Würde ich in einer Welt leben wollen, in der es eine Vorschrift gäbe, die sagt, lass alles stehen und liegen und lauf zu deinem Lieblingsmenschen, wann immer er dich anruft? Vielleicht ja, vielleicht nein. Das sind typische Situationen, die uns übrigens durchaus vertraut sind, auch wenn es gar nicht um Moral geht. Wenn Sie sich vornehmen, heute Abend ins Konzert zu gehen, dann müssen Sie dafür ganz viele Dinge sein lassen, die Sie auch gern tun würden. Sie können nicht gleichzeitig mit ihren Freunden ein gutes Glas Wein trinken. Sie können auch keinen Umweg gehen, nur weil das Wetter heute so schön ist, dann lässt man Sie nämlich nicht mehr rein. Tatsächlich bestimmt die Selbstbeschränkung, weil wir ein Ziel anstreben, unser ganzes Leben, und es ist tatsächlich immer die Vernunft, die uns signalisiert, wann immer wir zwei Dinge auf einmal wollen, aber nur eines realisieren können. Wir sind nicht ein kleines Bienchen, das von Blüte zu Blüte fliegt oder doch zu einer noch schöneren. Allein die Vorstellung genügt uns doch gar nicht. Stattdessen streben wir nach einer gewissen Regelhaftigkeit, einer Verlässlichkeit, auch uns selbst gegenüber. Das moralische Problem unterscheidet sich eben von den anderen darin, dass wir es besonders wichtig nehmen. Wenn Menschen mit Menschen zu tun haben, möchten wir, dass noch andere Regeln gelten als nur die der Nützlichkeit und der Güterabwägung. Vor allem möchten wir für andere verlässlich sein. Und das ist man dann am meisten, wenn man sich vernünftig verhält, weil alle Menschen Vernunft haben und deshalb auch vorhersagen können, was der andere tun wird, wenn er denn vernünftig handelt.

»Jeder hat Verstand und kann rechnen. Und das verhält sich bei der Vernunft auch so.«

Vernunft ist eine gemeinsame Sprache?

Sie ist ein Orientierungspunkt, auf den man sich sehr leicht einigen kann. Im Gegensatz zu anderen. Sitzen Sie mal am Tisch und einigen Sie sich in einer großen Gesellschaft auf einen Wein. Dann werden sie merken, dass die Sinnlichkeit der Menschen sehr unterschiedlich ist. Aber es gelingt Ihnen leicht, sich mit allen darauf zu einigen, zehn Prozent Trinkgeld zu geben. Das ist nämlich rational. Jeder hat Verstand und kann rechnen. Und das verhält sich bei der Vernunft auch so. Immer dann, wenn wir uns auf die Form unseres Denkens beziehen, reden wir schon von gleich zu gleich. Wir sprechen uns als Vernunftwesen an, weil wir davon ausgehen können, dass jeder Mensch Vernunft im Werkzeugkasten hat. Die Hoffnung dabei ist, dass der andere sie auch gebrauchen will.

Neben der Vernunft unterstellen wir allen Menschen einen schwer zu fassenden Faktor X: nämlich eine Würde. Was ist damit gemeint?

Es ist ein Faktum, dass Menschen einander auch nach anderen Maßstäben bewerten oder betrachten als das, was wir Gegenstände nennen. Ein anderer Mensch ist für uns nicht nur ein Gegenstand. Das heißt natürlich nicht, dass wir einander nicht auch gelegentlich als Gegenstand behandeln können: Ich kann Ihnen natürlich meinen Mantel über den Arm hängen und sagen: Halten Sie mal kurz. Dann sind Sie in dem Moment ein Garderobenständer. Es spricht auch überhaupt nichts dagegen, solange es nicht das Einzige ist, was ich in Ihnen sehe. Interessanterweise unterscheiden die Menschen drei Ebenen: Wir kennen Gegenstände, Lebewesen und Menschen, die wir mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit unterscheiden. Menschen begegnen einander anders. Ob wir dann zu dem Schluss kommen: Ja, genau darum müssen wir diesem die Rübe abhacken oder jenen auf einen Thron setzen, ist ein zweiter Schritt. Aber der erste besteht darin, dass wir uns anders benehmen, wenn wir aufeinander treffen. Das deutsche Grundgesetz ist auf der Grundlage der Kantischen Ethik geschrieben. Es ist ein ganz einfacher Gedanke: Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch. Ich darf ihn niemals bloß als Mittel, sondern muss ihn immer auch als Zweck behandeln. Alle anderen Fragen haben sich danach zu richten. Kurz: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Gibt es für den Menschen eine Möglichkeit, seine Würde zu verspielen? Zum Beispiel, weil er jemanden totgeschlagen hat?

Nein. In einem vernunftrechtlich orientierten Staat haben wir ein Recht, das fordert, auch Menschen, die sich auf die widerlichste Art und Weise daneben benommen haben, so zu behandeln, dass ihre Würde respektiert ist. Der Gedanke fällt vielen Menschen schwer. Aber auch ein pädosexueller Exzess-Täter hat vor Gericht Anspruch auf einen Rechtsbeistand und darf nicht auf öffentlicher Straße gelyncht werden. Er ist immer noch ein Mensch wie ich. Ich darf ihn verurteilen, aber nicht zum Mörder werden, nur weil er das vielleicht ist. Und glauben Sie mir, auch so mancher Mörder würde Ihnen sagen, dass es ein großer Unterschied ist, ob ich einen Menschen umbringe oder einen Käfer zertrete.

»Wer die gerechte Welt realisieren will, muss das Recht des Menschen verteidigen.«

Dennoch kennen wir den Impuls, einem Täter die Würde abzusprechen. Nietzsche unterstellte mal eine Wesensverwandtschaft zwischen Gerechtigkeit und Rache.

Ich weiß gar nicht, ob man einem Menschen die Würde absprechen kann. Ich weiß nur, dass man versuchen kann, sie anzutasten, indem man meint, sie wäre in diesem oder jenem Fall nicht so wichtig. Was wir in einem Rechtsstaat versuchen, ist, Gerechtigkeit als einen ausgleichenden Wert zu begreifen. Bei Kant steht der selten zitierte Satz: »Das Recht ist das einzige Heilige, das in der Welt ist.« Warum? Weil Menschen danach fragen. Wir fragen nach einer vernünftigen Verfasstheit des äußeren Zusammenlebens. Wir fragen danach, weil wir andere Ansprüche an das menschliche Zusammenleben stellen, als einfach nur mal zu gucken, was passiert. Wer die gerechte Welt realisieren will, muss das Recht des Menschen verteidigen – auch das des Verbrechers, des Straftäters und das eines Menschen, der aus Versehen einen Unfall baut. Wir versuchen, uns an dem Gedanken der Gerechtigkeit zu orientieren. Der Wunsch nach Rache ist der Versuch, Gründe zu finden, Straftäter zu markieren und zu sagen: Ja, die Würde des Menschen ist unantastbar, aber bei dem heute mal nicht. Wer immer das zu begründen versucht, scheitert unvermeidlich. Der heutige Mensch, der in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen ist und eine halbwegs normale Schulbildung hat, der weiß das. Vermutlich weiß das auch jeder andere, der sich das nur fragt. So natürlich der Racheimpuls auch ist, Gerechtigkeit soll ja gerade etwas anderes sein.

Reden wir über einen anderen Gegenstand: die Schuld. Schuld kennen wir zum Beispiel als das, was man dem anderen persönlich vorwerfen kann.

Wenn wir von Schuld sprechen, dann kann man das auf unterschiedlichen Ebenen tun: Auf der Ebene der Moral, des Strafrechts, und auch in der Psychologie und Psychiatrie könnte man natürlich fragen, was Schuld ist. Was wir selbstverständlich damit meinen, ist, dass jemand aus seiner Freiheit heraus etwas getan hat, wovon meist auch er selber genau weiß, dass er es besser nicht getan hätte. Oder zumindest etwas, wovon er weiß, dass er es gegen alle Gepflogenheiten einer Gemeinschaft getan hat. Ob das für ihn dann auch mit einem Schamgefühl verbunden ist, ist eine andere Frage.

Wieviel Bewusstsein hat ein Täter davon, das Falsche zu tun?

Es gehört auch zur Würde des Menschen, ihn für seine Taten verantwortlich zu machen. Für die Ausnahmen kennt auch die Rechtspraxis Regeln: Nur strafmündige Menschen dürfen verurteilt werden. Natürlich gibt es Menschen, die aufgrund irgendeines Zustandes oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung wirklich nicht dazu in der Lage sind, strafbares Handeln zu erkennen. Aber das ist bekanntlich ein winzig kleiner Teil. Und den hat das Rechtssystem schon immer geschützt.

»Das ›davon‹ benennt immerhin schon mal das Unrecht«

Wir kennen eine ganze Generation von Menschen, die von allem nichts gewusst haben will: Ich spreche von dem Grauen in den Konzentrationslagern. Was geht in diesen Menschen vor?

Wenn Sie fragen, wer den letzten Joghurt aus dem Kühlschrank genommen hat, wird jeder antworten: Nein, ich war es nicht. So einfach ist das. In dem Moment, wo mir Strafe droht – und zwar egal, ob sie im häuslichen Umfeld stattfindet oder vor einem Gericht –, gibt es die Neigung, es nicht gewesen sein zu wollen. Was diesen Satz »Davon habe ich nichts gewusst« so interessant und sogar zu einem Zeichen des Fortschritts macht, ist, dass man den Satz nicht sagen kann, ohne gleichzeitig zuzugeben, dass dieses ›davon‹ etwas ist, von dem man besser auch nichts gewusst haben sollte. Das ›davon‹ benennt immerhin schon mal das Unrecht, auch wenn man damit nichts zu tun gehabt haben will. »Davon habe ich nichts gewusst« war die Antwort einer Korruptionsgemeinschaft, die in der Bundesrepublik bis heute nachwirkt: Aus der Volksgemeinschaft wurde eine Gemeinschaft in Verlogenheit. Das war insofern besonders leicht, weil man die Menschen, die einen da besiegt hatten, als Feinde wahrgenommen hat, denen man gemäß der Nazi-Ideologie auch nicht die Wahrheit sagen muss. Es ist eine unsägliche Geschichte, dass sich die systematische Geschichtsklitterung auch noch als Vergangenheitsbewältigung aufgespielt hat. Aber solche Dinge passieren, wenn man davon ausgehen kann, dass überhaupt nur fünf Prozent der deutschen Bevölkerung wirklich nichts gewusst hat, weil sie ganz weit weg von Zwangsarbeitern in irgendeinem letzten Kaff in Schleswig-Holstein irgendwo aus der Höhle nicht rausgekommen ist oder taubstumm Häkeldeckchen gefertigt hat. Klar gab es das. Aber die Geschichtswissenschaft hat lange gebraucht, um herauszufinden, wie selten es das gab.

Was sind eigentlich die Voraussetzungen dafür, dass man sich als Mensch systematisch am Massenmord beteiligt?

Das ist eine Persönlichkeitsfrage. Warum das so ist, können Sie nur bei jedem Einzelnen anschauen. Man kann sagen, dass es äußere Voraussetzungen für eine so breite Beteiligung gibt. Es gibt aber auch jeweils eine innere Disposition. Die viel interessantere Frage ist doch: Warum beteiligen sich manche Menschen nicht?

Sagen Sie es mir.

Wie könnte ich? Erst in den Momenten, in denen es passiert, wird unübersehbar, wer nicht mitmacht. Wenn Sie nach dem großen Helden suchen, dann finden Sie ihn sowohl in dem kleinen Schlachtermeister, der Juden in seinem Hinterzimmer versteckt hat, als auch in Menschen, die ganze Institutionen genutzt haben, um Visa auszustellen, die sie nicht hätten ausstellen dürfen. Aber auf viele Menschen wirkt die Lizenz zur Gewalt nun mal unwiderstehlich. Weil Zivilisation und Kultur darauf beruhen, dass Menschen manchen Antrieben nicht nachgeben, braucht Gewalt eine Legitimation. Einen Teil der Menschheit als nicht würdig zu markieren, reicht dann als Anlass. Zum Beispiel ist man in Chemnitz nicht völlig willkürlich jedem hinterhergelaufen, der da gerade so langging, sondern es musste eine zuvor markierte Gruppe sein.

»Ein Mord, den man folgenlos begehen kann, wird begangen.«

Eine Gruppe, die man zuvor entmenschlicht.

Ich weiß nicht, ob wir es ›entmenschlichen‹ nennen können. Es reicht, erst einmal zu sagen, dass es in diesem Fall straffrei ist. Elias Canetti hat in seinem Buch ›Masse und Macht‹ einen ungemütlichen Satz geschrieben: Ein Mord, den man folgenlos begehen kann, wird begangen. Und doch gibt es immer einzelne Mensch, denen eine staatliche Legitimation nicht reicht, um zu töten. Sie können nicht pauschal nach den Voraussetzungen fragen, so nach dem Motto: Wir sind in der Küche, nehmen diesen Topf und rühren jetzt eine bestimmte Suppe zusammen, und dann haben wir einen Massenmord. So läuft die Nummer nicht, auch wenn viele es gern so hätten. Denn wenn es immer nur die äußeren Umstände wären oder das System, dann bin ich doch fein raus.

Ich frage mal trotzdem: Gibt es Systeme, die das Böse begünstigen?

Ja. Aber Systeme morden nicht. Menschen morden. Und das gilt auch dann, wenn wir eine Mordmaschine bauen. Noch eine interessante Ausrede übrigens: Die Mordmaschine Auschwitz hat keineswegs so deutsch-gründlich funktioniert. Die Details werden immer noch unappetitlicher, je genauer man hinsieht, und das soll ja etwas heißen. Die Vorstellung einer reibungslosen Tötungsmaschine jedenfalls war immer auch ein Entschuldungskonstrukt.

Worin bestehen denn die Widerstandskräfte, die böse Tat zu unterlassen?

Wer die Vernunft als Leitmittel für Moral akzeptiert, hat das wohl wirksamste Gegenmittel installiert. Man muss die Stimmigkeit im Selbstverhältnis wollen. Hannah Arendt würde jetzt sagen, dass man sich nur einmal überlegen möge, mit wem man eine 24/7-Beziehung pflegen will. Will irgend jemand wirklich mit einem Mörder zusammenleben? Das ist natürlich schön gedacht, aber dennoch haben wir die Erfahrung gemacht, dass es Menschen gibt, die damit überhaupt gar keine Probleme haben. Ein wichtiger Schritt zum Widerstand gegen unmoralische Handlungen ist die Erinnerung daran, dass moralische Probleme selten sind. Dass auch die Situationen für moralische Fragen selten sind. Mord war auch im Dritten Reich verboten. Es reichte also auch dort die Orientierung am Gesetz, um zu sagen: Das mache ich nicht mit. Und es hatte bekanntlich auch keine gravierenden Konsequenzen, wenn man als Soldat nicht an Massen-Erschießungen teilnehmen wollte. Man wurde ausgelacht, auch versetzt, aber nicht dazugestellt und erschossen. Zu schnell nach Moral und endlose Moral-Debatten zu rufen, das verdeckt eben oft, dass es durchaus noch mehr Gründe als die moralische Selbstversicherung gab, um etwas nicht zu tun. Aber wenn tatsächlich einmal moralische Konflikte auftreten, in denen sogar das positive Recht dem Vernunftanspruch zuwider ist, dann ist es an der Zeit, sogar das Rechtssystem zu überdenken. Und das geschieht ja auch immer dann, wenn sich große Teile der Gesellschaft zu fragen beginnen, ob wir tatsächlich so weitermachen wollen oder eben nicht. Die Homosexuellen-Gesetzgebung ist so ein Beispiel. Es war absolut selbstverständlich, dass Homosexuelle diskreditiert, diskriminiert und kriminalisiert werden – das war sehr lange einfach Gesetz. Man hat sich dann irgendwann gefragt: Warum eigentlich? Wollen wir das noch? Und was wollen wir stattdessen? Dann hat man damit angefangen, die Gesetze nach der Vernunft neu zu entwerfen. Und dann reformiert man selbstverständlich das Recht nach Maßgabe der Moral – und nicht umgekehrt.

»Je mehr man sich in den anderen hineinfühlen kann, umso mehr kann man ihm auch weh tun.«

Neben der Vernunft haben wir das Einfühlungsvermögen, die Empathie. Können wir uns auf die verlassen?

Einer der wahrscheinlich größten Empathen war Klaus Barbie, der in drei Ländern Folter unterrichtet hat. Es ist doch so: Je mehr man sich in den anderen hineinfühlen kann, umso mehr kann man ihm auch weh tun. Jeder, der mal von einem Geliebten verlassen worden ist, weiß, dass das hervorragend funktioniert. Die Möglichkeit, sich an die Stelle eines anderen Menschen zu denken, ist ja zunächst mal etwas, was wir alle ständig tun. Wenn Sie in eine Bäckerei gehen, sich drei Brötchen bestellen, 50 Euro rüberreichen und die Verkäuferin guckt ein bisschen betreten, dann werden Sie vermutlich denken: Oh! Ich habe es auch kleiner. Das ist Empathie. Das ist einfach das Alltägliche, sich in die Lage eines anderen zu denken. Auch Selbstdarstellung, Eitelkeiten, der Blick in den Spiegel, all das ist nichts anderes, als sich ständig aus den Augen der anderen zu beobachten. Die Frage ist auch hier, wozu man das benutzt. Sie können ein Kind mit Hingabe zur Empathie erziehen, aber wenn dieses Kind auch noch andere Interessen entwickelt, ziehen Sie womöglich den brutalsten Folterknecht aller Zeiten groß.

Im bürgerlichen Trauerspiel gab es die Hoffnung, Moral und Mitgefühl miteinander zu verbinden: Zwar stirbt am Ende der Held, aber die Moral überlebt. Man sammelt moralisches Kapital mit der Idee, dass es in der Wirklichkeit ausgegeben wird. Kultur wäre dann etwas, das Menschlichkeit einübt.

Konzentrieren wir uns auf das Thema Bildung. Es gab eine beliebte kleine Geschichte nach 45, die ging so: Na ja, die Nazis, das waren ja alles nur Blödmänner. Das waren die Zukurzgekommenen, die Arbeiterklasse, die Ungebildeten. Das Märchen war so erfolgreich, weil die beschuldigten Gruppen nicht die Möglichkeiten hatten, dem zu widersprechen. Sie hatten keinen Zugang zur Öffentlichkeit, sie bekamen wahrscheinlich viel zu spät etwas davon mit. Heute wissen wir, dass das Blödsinn war. Das Reichssicherheitshauptamt, also eine der maßgeblichen Institutionen in der Nazizeit, zu dessen Aufgabenfeld auch die Vernichtung der Juden zählte, bestand zu einem erstaunlichen Teil aus promovierten Akademikern. Adolf Eichmann war der einzige Ressortchef, der keinen Abschluss hatte. Dennoch war er gebildet. Natürlich war es kein Zufall, dass er vor Gericht behauptet hat, er hätte keine Schulbildung genossen. Aber der Mann hat Geige gespielt, konnte reiten, fechten und zu einem Zeitpunkt ein Motorrad fahren, als die meisten Motorräder nur aus der Ferne kannten. Er hatte ein beachtliches Hochstaplertalent und gab erfolgreich vor, vielsprachig zu sein. Er konnte Spinoza und Kant zitieren und wusste von Sokrates und Nietzsche. Das sind nicht unbedingt Kennzeichen eines ungebildeten Menschen. Aber wir haben gern gehört, dass ein gebildeter Mensch, der mit Silberbesteck von weißen Tellern auf weißen Tischdecken isst, nicht mordet. Und das ist falsch. Warum auch? Was ist das für ein Dünkel, der glaubt, ein besserer Mensch zu sein, nur weil er „Aida“ rückwärts pfeifen kann? Eigentlich ist das eine ganz lächerliche Vorstellung.

»Wie soll es denn Bilder einer Moral geben, wenn man Moral nicht beobachten kann?«

Lassen wir mal den Dünkel beiseite. Die Hoffnung war ja die: Ich habe etwa das Leid der Tosca mitgefühlt, die sexuelle Erpressung und die darauf folgende Katastrophe gesehen, deswegen kann ich mich nicht mehr an einer Missbrauchskultur beteiligen oder sie auch nur dulden.

Dahinter steckt die Hoffnung, dass es Bilder der Moral oder des Moralischen gibt, die wie Steine ins Bewusstsein fallen und dort sofort alles verändern. Der Witz ist nur: Wie soll es denn Bilder einer Moral geben, wenn man Moral nicht beobachten kann? Sie können Moral nicht sehen. Wenn hier jetzt eine alte Dame hereinkommt, über diesen Teppich stolpert, und Sie springen auf und sorgen dafür, dass sie nicht fällt, dann kann man sich fragen: Warum haben Sie das gemacht? Weil sie den gleichen Mantel anhatte wie ihre Großmutter, die sie sehr lieben? Weil Sie gedacht haben, Sie sitzen hier mit einem Philosophen am Tisch, und das geht ganz übel aus, wenn Sie es nicht tun? Weil Sie so gläubig sind, dass Sie denken, dass Sie dann durchs Himmelstor kommen? Weil es wirklich ein Reflex gewesen ist? Oder weil Sie den BILD-Reporter am Tresen gesehen und gedacht haben: Ha! Morgen bin ich ein Held! Ich weiß es nicht. Ich kann es der Handlung nicht ansehen. Wissen Sie es von sich selber? Vermutlich auch nicht. Sie wissen, was Sie gern wären. Sie wissen, warum Sie es gern getan hätten. Vielleicht wissen Sie auch, warum Sie gerne so aussehen würden, als hätten Sie es aus moralischen Gründen getan. Und es ist achtenswert, wenn Sie darüber nachgrübeln. Bei mir wäre es das nicht. Denn ich habe eine untadelige Handlung gesehen. Darum steht es mir nicht zu, rumzunörgeln und zu sagen: Ja, das hat er aber nur gemacht, weil …. Denn damit rede ich vor allem über mich und nicht mehr über Sie. Das Urteil eines Zuschauers in moralischen Dingen ist immer auch ein Selbstbekenntnis. Wir sehen, was wir für möglich halten. Am Ende verhält es sich so: Wenn ich jemandem ein Bild einer vergewaltigten Frau zeige oder ein entsprechendes Drama aufführe, ist die Wirkung kaum zu kalkulieren. Jemand könnte so schambehaftet sein, dass er gar nicht hingucken mag. Ein anderer kann es in Ihrem Sinne anschauen und sich sagen: Oh Gott, oh Gott, tue einer Frau niemals so etwas an. Mancher mag sich auch denken: Es ist hier dunkel genug, nette Vorlage. Wer ein Bild produziert, kann seine Wirkung nicht bestimmen. Weil ich nicht bestimmen kann, was man in einem Bild sieht, funktioniert moralische Erziehung über Sinnlichkeit, also Wahrnehmung einfach nicht. Und auch das muss gesagt werden: Szenen wie diese waren natürlich auch immer Werbemittel, um Menschen ins Theater zu locken. Der Schockeffekt bedient seit je den Voyeurismus. Und wenn man eine Oper anpreist, in der jemand auf der Bühne nackt herumläuft und vergewaltigt wird, dann wird das für die Verkaufszahlen nun einmal je nach Zeit und Mode besser oder schlechter sein. Das wussten auch die Opernkomponisten, Regisseure und Intendanten seit eh und je ganz genau. Die Kunden wollen keine hochintellektuellen Debatten vorgesungen bekommen, es darf gern handfest sein. Das ist nicht nur eine Frage für den Jugendschutz. Wir müssen aufpassen mit dem moralischen Dünkel, Erziehungstheater zu veranstalten. Ich zumindest wüsste gern, wie das gehen soll. Was garantiert mir, wenn ich mit einem kleinen Jungen in dieses Stück ›Tosca‹ gehe, dass dabei herauskommt, dass der Junge hinterher Frauen achtet? Ich bleibe da skeptisch.

Was sollen wir dem kleinen Jungen denn nun beibringen?

Wenn Sie ein kleines Kind haben und Sie versuchen, ihm beizubringen, was Moral ist, geht es erst mal wirklich um Orientierung, und es geht natürlich auch um das Selbstbewusstsein: Ich bin ein Vernunftwesen. Ich bin nicht hilflos. Ich habe die Werkzeuge, mich in der Welt zu orientieren und auch in sehr schwierigen Situationen zurechtzukommen. Dieses »Ich kann das« ist etwas, was man weder sich noch einem anderen zerreden sollte. Dass das nicht immer reicht und dass es natürlich schiefgeht, wenn es zum Soloweg mutiert, ist eine andere Geschichte. Aber es ist so einfach, den Menschen mit seiner Vernunft bekannt zu machen und ihm zu sagen, wenn du in eine Konfliktsituation gerätst, dann fragst du dich das und das. Die Gefahr ist riesengroß, es zu zerreden: mit noch einem Beispiel. Und noch einem Beispiel. Dabei ist doch alles klar. Jedes Kind hat es schnell begriffen. So wie es auch irgendwann begreift, dass eins plus zwei gleich drei ist, und zwar nicht, weil er den Lehrer mag oder nicht mag, sondern weil es so ist. Und das reicht. Wir kommen immer dann in die Bredouille, wenn wir anfangen, so lange darüber zu reden, bis man sich nicht mehr daran erinnert.

»Die Schritte, die man gehen kann, sind klein.«

Wo fange ich denn bestenfalls an?

Bei der nächsten Handlung. Natürlich kann ich auch schöne Theorien aufbauen und meinetwegen erklären, wie ich mir ein ideales Bangladesh vorstelle. Das kostet mich nichts. Das ist für mich völlig gefahrlos. Es ist auch völlig wirkungslos. Aber man labert herrlich erhaben mal zwei Stunden weg. Aber die Frage ist doch, wie man mit sich und mit anderen umgeht. Jeden Tag, jede Stunde, Schritt für Schritt, immer wieder. Das ist keine Heldengeschichte. Das ist nicht spannend. Es ist einfach nur richtig. Wir möchten gerne das Feuerwerk und wir möchten das Superman-Kostümchen und die Welt und dann noch zwei kleine Kinder retten, aber so ist Moral nicht. Sie ist anstrengend, und man wird wahrscheinlich keine Lorbeeren mit ihr gewinnen, und sie ist auch nichts, wovon Sie den Enkeln aus dem Ohrensessel erzählen können, nach dem Motto: Ha! Da war Opa aber mal ganz mutig. Da werden die Kleinen nämlich höchstens fragen: Was hättest du denn sonst machen sollen? Das Richtige ist furchtbar langweilig, und trotzdem wissen wir, dass es darum geht. Auch wenn das so wenig scheint. Die Schritte, die man gehen kann, sind klein. Aber das heißt eben nicht, dass man Sie nicht gehen muss.


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